Wand vor Wand – Parcours des Schreckens?

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Wand vor Wand ist der Titel einer irritierenden Ausstellung in der Bundeskunsthalle, wobei das Wort Ausstellung wohl besser durch den Begriff Parcours  zu ersetzen wäre, also ein mit Hindernissen unterschiedlichster Art durchsetzter Weg.

Als ich diesen Parcours mit Raumkonstruktionen von Gregor Schneider erstmals absolvierte, hat er bei mir ein Wechselbad der Gefühle ausgelöst, körperlich wie psychisch. Denn als Person begebe ich mich in reale dreidimensionale Räume, die bei aller Künstlichkeit sofort durch ein persönliches Raumerleben besetzt werden. Und schon der erste begehbare Raum hat es in sich: Ein schmaler Gang, steril, neonhell erleuchtet, mit schallgedämmter Decke und beidseitig roten Schiebetüren – allesamt geschlossen. Irgendwie gespenstisch vertraut. Guantánamo? Erster Impuls: Schnell weiter.

Doch es wird nicht besser. Erst durcheile ich einen grell ausgeleuchteten, mit Blech verkleideten Raum, dessen unangenehm feucht-warme Atmospäre mich vertreibt, dann ein zugig-kaltes Minikühlhaus inklusive Plastikstreifenvorhang. Zweiter Impuls: Schnell weiter.

Doch was wäre, wenn ich diesem Impuls widerstünde? Wenn ich mir die nötige Zeit nähme, um dem eigenen Unbehagen auf den Grund zu gehen? Aber schon fällt hinter mir die Tür ins Schloss. Aprupt umfängt mich eine Finsternis, die geradezu zum Innehalten zwingt, will ich nicht irgendwo gegenrennen.

Während sich die Augen noch an die Dunkelheit gewöhnen, wirken die zurückliegenden Raumeindrücke nach. Was macht die durcheilten Räume eigentlich so bedrohlich? Wodurch entstehen die vielfältigen Irritationen? Wie erlebe ich Orientierungsverlust, der ja immer auch ein Kontrollverlust ist?

Und schon taucht die nächste Frage vor mir aus der Dunkelheit auf. Ich blicke in einen spärlich beleuchteten Raum, der mir irgendwie bekannt vorkommt. Dann das Wiedererkennen: Es ist ein von Gregor Schneider nachgebauter Raum aus Mies van der Rohes Villa Haus Lange in Krefeld.

Ich erinnere mich an den Aufruhr, den der Künstler 2008 auslöste, als er in diesem Raum – stimmig in den Proportionen und schön gestaltet – einen Menschen sterben lassen wollte. Seine Frage lautete: „Warum können wir den Tod nicht aus der Tabuzone herausreißen und wie eine Geburt feiern und ein Kunstwerk schaffen, in dem Sterbende bis zum Tod begleitet werden?“

Das war für viele too much. Für seinen Sterberaum bekam Gregor Schneider sogar Todesdrohungen. Apropos Tod: Ich sehe mich hier also einer weiteren  Grenzüberschreitung ausgesetzt. Präzise gesagt: Der letzten, nämlich der zwischen Leben und Tod.

Natürlich kann ich abermals weitereilen. Ich könnte dann vielleicht zwei Räume weiter am Cryo-Tank Phoenix verweilen. Dort wird der Nachbau eines Edelstahltanks aus dem Jahr 2006 gezeigt, in dem ein Mensch sich einfrieren lassen kann, um bei entsprechendem Fortschritt der Wissenschaft wieder zum Leben erweckt zu werden. Grenzüberschreitung oder Hybris?

Ich entscheide mich anders. Ich werde mich den kommenden Raumerlebnissen beobachtend nähern, werde Assoziationen kritisch zulassen, mich vielleicht sogar im vertrauten (Freundes-)Kreis im Verlauf der Ausstellung austauschen. Dazu werde ich natürlich wiederkommen, werde versuchen, den Parcours des Schreckens, wie er im Bonner Generalanzeiger bezeichnet wurde, zum Parcours der (Selbst-)Erkenntnis umzudeuten.

Vielleicht sieht man sich in der Ausstellung und/oder zu einer Führung? Bis später also!

Olaf Mextorf
der-entschleunigte-blick.de

GREGOR SCHNEIDER. WAND VOR WAND
bis 19. Februar 2017

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