Häuserkampf

 

Was würden Sie machen, wenn Sie in den Besitz des Geburtshauses von Joseph Goebbels kämen? „Verkaufen“, war eine häufige Antwort. „Abreißen“, kam noch häufiger. Einmal auch der Vorschlag, dort einen Kindergarten einzurichten – dem Schrecken der Person Goebbels etwas Positives entgegensetzend. Doch würden Sie Ihr Kind in einen Kindergarten geben, der im Geburtshaus von Joseph Goebbels untergebracht ist – auch wenn es „nur“ das Geburtshaus war?

Dann schon eher einen Ort der Erinnerung an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft schaffen, eine Art Museum. Das war auch ein Vorschlag. Doch kommen dann nicht die ewig Verblendeten, um ihren schändlichen Vorbildern zu huldigen?

Das alles könnten auch Fragen gewesen sein, die Gregor Schneider umgetrieben haben, als er in der Küche des Gerburtshauses von Joseph Goebbels die Suppe auslöffelte, die er sich selbst – absichtsvoll – eingebrockt hatte.

Eine der meistdiskutierten Arbeiten in der Ausstellung Wand vor Wand ist die vierteilige Videoinstallation Odenkirchener Straße 202, Rheyt 2014. Dort sehen wir den Künstler u.a. in der goebbelschen Küche oder beim Versuch zu schlafen, sehen das banal-verlebte Innere eines Hauses, das die grausame Gewissheit eines millionenfachen Völkermordes in sich trägt. Und wir sehen, welche Konsequenz der Künstler aus der in Rheydt gern verdrängten Geschichte zieht.

„Ich habe das Haus gekauft, nun komplett entkernt und somit unbewohnbar gemacht. Den alten Geist mit den alten erhaltenen Materialien entfernt, die denkbaren Berührungsreliquien aufgelöst. Geschichte lässt sich nicht rückgängig machen, und eine Leerstelle kann sehr laut sein“, sagte Schneider 2014 in einem Interview. Und weiter: „Täterorte üben eine magische Anziehungskraft aus“, wissend, dass dort in Rheydt, in der Odenkirchener Straße 202, immer wieder Blumen abgelegt worden waren.

Auf einer vierten Leinwand sehen wir dann, wie ein professionelles Abrissunternehmen das Haus Schicht um Schicht entkernt, eine Ruine hinterlassend, inhaltslos und überflüssig. Fehlt nur noch die Abrissbirne. Doch noch widersetzen sich die Außenmauern, denn ein Statiker musste feststellen, dass das Nachbargebäude bei einem kompletten Abbruch beschädigt werden könnte.

Im Gespräch über diese Arbeit und der daraus resultierenden Auseinandersetzung mit den Hintergründen fragten sich nicht wenige Besucher/-innen der Ausstellung, ob diese entkernte Ruine nicht das geeignetste Symbol für den Umgang mit der NS-Vergangenheit wäre. Wertlose, weil inhaltslose Banalität.

Diese Diskussion um die dunkelste Stelle deutscher Geschichte darf niemals enden! Auch dafür steht das Werk von Gregor Schneider.

 

Olaf Mextorf
der-entschleunigte-blick.de

GREGOR SCHNEIDER. WAND VOR WAND
bis 19. Februar 2017

Veröffentlicht in AUSSTELLUNGEN, BLOGGER DER BUNDESKUNSTHALLE, OLAF MEXTORF, WAND VOR WAND, , , am von . 1 Comment

 

Links:

https://www.sueddeutsche.de/kultur/die-kunst-der-erinnerung-gregor-schneiders-ausstellung-goebbels-hausmeister-1.2248225

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-20017823.htmlhttps://www.spiegel.de/spiegel/print/d-20017823.html

https://www1.wdr.de/daserste/monitor/interaktiv/tagesthemen-kommentar-holocaust-100.html