Kunstbetrachtung im Dialog, November 2018
In der Ausstellung „Der Flaneur – Vom Impressionismus bis zur Gegenwart“ im Kunstmuseum Bonn.
Wann waren Sie das letzte Mal flanieren? Und welches Bild haben Sie vor Augen, wenn Sie den Begriff Flaneur hören? Das des elegant gekleideten Bohémien der Belle Époche, der fast absichtslos Avenuen, Boulevards und Prachtstraßen hinab schlendert, dann ein Café aufsucht und – scheinbar in seine Zeitung versunken – die ihn umgebende Szenerie beobachtend in sich aufnimmt? Oder ist es vielleicht doch eher die aufmerksame Spaziergängerin der Gegenwart, deren wacher Blick die kleinen Dramen am Rande des Alltags beobachtet und die gleichzeitig wie ein Seismograph die wechselnden Stimmungslagen des städtischen Lebens registriert?
Das Kunstmuseum Bonn widmet dem Flaneur jetzt eine umfängliche und vielschichtige Ausstellung, die sich dem Phänomen der Großstadt von einer fast vergessenen Seite her nähert, denn der Flaneur:
- – ist der beteiligt unbeteiligte Beobachter
- – nimmt sich die Zeit, zu schauen
- – ist noch in der Lage, sich absichtslos treiben zu lassen
- – streift offen und neugierig durch die Stadt
- – ist entspannt und gleichzeitig aufmerksam für alles
- – ist das Auge der Stadt
- – ist, was wir sind, wenn wir Stadt aufmerksam betrachten, einfühlsam erleben.
Und so beschreibt das Flanieren mehr eine Haltung, denn die Tätigkeit an sich. Und so denken wir den Flaneur natürlich auch weiblich, zumal Frauen – ist das mehr als eine These? – auf viele Dinge einen anderen Blick haben als Männer. Und dieser Blick auf die Stadt ist auch längst nicht mehr nur den Literaten wie Baudelaire, Hessel, Benjamin oder Nooteboom vorbehalten, sondern wird längst schon malerisch, fotografisch und filmisch formuliert.
Aufgrund der Vielzahl an Perspektiven und Fülle von Werken zwischen Impressionismus und Gegenwart bieten wir Ihnen eine zweiteilige Veranstaltung an, um der vielschichtigen Thematik ebenso gerecht zu werden, wie auch uns selbst in unserer Rolle als entschleunigt-flanierende (Kunst)Betrachter.
Bei unsere ersten Erkundung der Austellung werden wir uns der Stadt von ihren Rändern her nähern, werden uns unter anderem gemeinsam mit Vincent van Gogh und Maurice Utrillo auf dem Montmartre – einst Peripherie der Metropole Paris – umschauen, werden die Bonner Nordstadt mit August Mackes Augen sehen und Peter Piller in die Randbereiche der Bundesstadt folgen, bevor Steven Shore uns die uncommon places der amerikanische Provinz zumutet. Und Downtown New York ist noch etliche U-Bahnstationen entfernt, wenn Richard Estes den Blick fokussiert, uns an seinen minutiösen Beobachtungen teilhaben lässt.
Die zweite Erkundung führt uns dann ins Zentrum. Dorthin, wo Adolph Menzel die Metropole Paris im Umbruch erlebt hat, wo Jean Béraud seine minutiösen Beobachtungen in wunderbar-atmospärischen Miniaturen festhält, wo Fotografen wie Brassaï, Umbo, Otto Steinert oder Lee Friedländer unsere Wahrnehmung auf die Probe stellen. Das Motiv des Zentrums changiert zwischen der Düsternis am Bahnhof Zoo der Vorwendezeit und den strahlenden Prachtstraßen und weiten Plätzen des Haussmanschen Paris, zwischen eleganter Beschaulichkeit und aufreibender Hektik, zwischen milder Melancholie und agressivem Behauptungswillen.
Und wir mittendrin! Wir freuen uns auf eine ganz besondere Ausstellung und auf den Austausch mit Ihnen.
Herzliche Grüße
Olaf Mextorf + Nicole Birnfeld
Links zur Ausstellung:
https://www.kunstmuseum-bonn.de/nocache/ausstellungen/vorschau/info/ex/der-flaneur-3863/
http://www.wienand-verlag.de/titel/Der-Flaneur-Vom-Impressionismus-bis-zur-Gegenwart.asp
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ausstellung-der-flaneur-im-kunstmuseum-bonn-15808351.html
https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/bild_und_raum/detail/der_flaneur.html
Links zum Thema Flaneur:
https://www.zeit.de/1995/49/Die_Sohlen_der_Erinnerung
https://www.swr.de/der-flaneur-als-lebensform/-/id=116/did=13155806/nid=116/itncq5/index.html
http://www.maz-online.de/Sonntag/Top-Thema/Troedeln-lernen
http://www.subf.net/forum/index.php?topic=571.0
https://www.goethe.de/de/kul/mol/20385380.html
http://www.claudia-taller.com/flaneur-literatur.shtml
http://www.bbaw.de/AuS/Schuelerlabor/aktuell/berlin-europaplatz-1/traeume-von-raeumen
Literatur zum Thema Flaneur:
Karsten Michael Drohsel: Das Erbe des Flanierens – https://www.socialnet.de/rezensionen/20872.php, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26119
Matthias Keidel: Die Wiederkehr der Flaneure – https://literaturkritik.de/id/10296
Eckhardt Köhn: Strassenrausch – https://www.zvab.com/buch-suchen/titel/stra%DFenrausch-flanerie-und/autor/eckhardt
die horen, Bd. 200: Der Flaneur – https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Angebote/verlag=Bremerhaven+Edition+die+Horen&titel=flaneur
Georgina Banita, Judith Ellenbürgen, Jörn Glasenapp (Hrsg.): Die Lust zu gehen – Weibliche Flanerie in Literatur und Film – https://www.fink.de/katalog/titel/978-3-7705-6191-9.html
Georges Perec: Träume von Räumen – https://www.perlentaucher.de/buch/georges-perec/traeume-von-raeumen.html, https://www.zeit.de/1990/46/ausziehen-einziehen, https://durchleser.wordpress.com/2013/10/06/durchgelesen-traume-von-raumen-v-georges-perec/, https://architecturesfunction.files.wordpress.com/2007/10/perec_traumevonraumen.pdf
Kay von Keitz, Sabine Voggenreiter (Hrsg.): En passant – http://www.urbanophil.net/urbanophil/urbanoreview/rezension-en-passant-reisen-durch-urbane-raume-perspektiven-einer-anderen-art-der-stadtwahrnehmung-herausgegeben-von-kay-von-keitz-und-sabine-voggenreiter/
Marc Augé: Nicht-Orte – https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/2167/weiss.pdf?sequence=1
Tomas Espedal: Gehen – https://www.nzz.ch/pilger_ohne_gott-1.13723967, https://literaturkritik.de/id/16054
Angelika Corbineau-Hoffmann: Kleine Literaturgeschichte der Großstadt – https://literaturkritik.de/id/6172
Franziska Bollerey: Mythos Metropolis – http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/das-phaenomen-grossstadt.html