Lehrerfortbildung, Juni 2016

 

Konzept und Materialzusammenstellung von Olaf Mextorf, beauftragt von der Bundeskunsthalle Bonn.

 

Außer der Reihe möchte ich an dieser Stelle einige Hintergrund-Informationen weitergeben, wie sie für Lehrer bereitgestellt werden, die beabsichtigen, mit ihren Schülern in die Bundeskunsthalle zu kommen.

Gerade aktuelle Positionen zeitgenössischer Kunst stellen für Schüler, Lehrer und uns Kunstvermittler erfahrungsgemäß eine besondere Herausforderung dar, denn unsere Zeitgenossenschaft beinhaltet  Offenheit, Unsicherheit, wenn nicht gar Verunsicherung gegenüber ungewohnten Konzepten, neuen Materialien und Darstellungsmodi, sowie unkonventionellen Sichtweisen.

Als außerschulischer Lernort bietet die Bundeskunsthalle mit seinen herausragenden Ausstellungen den Rahmen für einen anregend-kritischen Gedankenaustausch, der im Idealfall gemeinsam mit den Schülern dialogbasiert umgesetzt wird.

Aus der Presseinformationen zur Ausstellung:

Juergen Teller, geboren 1964 in Süddeutschland, zählt international zu den gefragtesten Fotografen der Gegenwart, und seine Arbeiten, oft umfangreiche Serien, werden in Büchern, Zeitschriften, Magazinen veröffentlicht und in Ausstellungen gezeigt.
In der Ausstellung, die sich über drei Räume erstreckt, verwandeln Arbeiten wie „Siegerflieger“ und „My Man Crush, Pep Guardiola“ das Foyer der Bundeskunsthalle in ein ‚Public Viewing‘, wo Ansichten von Siegen und Niederlagen Tellers Gespür für die Dokumentation der entscheidenden Augenblicke belegen.
Andere Werkgruppen der gut 250 Arbeiten in der Ausstellung sind autobiografisch und manchmal anekdotisch geprägt: stille Landschaften aus Nürnberg, ehrliche, ungeschönte Selbstinszenierungen wie „The Clinic“ und subjektive Dokumentationen der Auseinandersetzung mit seiner Jugend und Heimat wie „Irene im Wald.“
Und in den neuesten Serien „Mit dem Teller nach Bonn“ und „Plates/Teller“ scheinen alle bisherigen Themen und Kompositionen als Konzentrat zusammenzufließen: Das Spiel der Protagonisten mit einem Teller – Synonym und Stellvertreter für den Fotografen – ist von zarter oder überbordender, direkter, ehrlicher, humorvoller und berührender Komposition, und viele seiner dichten Erzählungen werden erst auf den zweiten Blick präsent.
Ab 1986 in London lebend, begann er dort für Musik-, Zeitgeist- und Modemagazine zu fotografieren und wurde 1991 bekannt, als er die Band Nirvana fotografierte und seine Fotos von Kurt Cobain veröffentlicht wurden. Juergen Tellers Arbeiten bewegen sich seitdem permanent an der Schnittstelle zwischen Kunst und kommerzieller Fotografie, und sein Stilmittel ist das Porträt: In den Bereichen Musik, Fashion, VIPs, Alltag und Landschaft gelingt es ihm, mit einem sehr eigenen Gespür für Personen, Situationen, Milieus und Klischees unmittelbare, manchmal scheinbar einfache Bildkompositionen zu schaffen. Sie vermitteln eine gewisse Beiläufigkeit, die sich aber bei näherer Betrachtung als ausgewogene Bildkomposition und bewusste künstlerische Konzeption erweist.
Gezielte Brüche der Sehgewohnheiten und Erwartungen durch ästhetische Strategien sind einigen Arbeiten implizit, so wie ihm in anderen Arbeiten idealisierende, schönende oder verklärende Bildstrategien fern liegen. Seine Bilder scheinen an die Substanz des Motivs zu reichen, und die Visualisierung einer nicht perfekten Schönheit steht im Vordergrund.
In bewusster Distanz zum immerwährenden Glamour im Bereich Mode- und People-Fotografie hat Juergen Teller eine exponierte Stellung: In Modekampagnen für namhafte Label versetzt er Schauspieler, Supermodels, Popstars oder andere Prominente in neue, teils irritierende visuelle Zusammenhänge, gestattet ihnen teilweise, ihre Individualität zu zeigen, und enthebt die Darstellung damit dem gängigen Abbildungskodex.
Dieses künstlerische Prinzip überträgt er auf die nicht kommerziellen Arbeiten; die bildnerischen Ergebnisse sind – heute mehr denn je – verblüffend, unerwartet, Klischees verneinend, intim, scheinbar grenzüberschreitend und distanzlos, aber nie bloßstellend, da große Empathie und Sensibilität seine Gradmesser sind.
Juergen Teller verlangt seinen Modellen einiges ab, fordert die Bereitschaft zum Unverfälschten und Ungeschönten, so, wie sein unermüdlicher, ehrlicher, neugieriger, offener und unverstellter Blick auf das Motiv auch beim Betrachter Toleranz und Neugier voraussetzt – er selbst gibt sich dem Prozess gleichermaßen hin. Er agiert wie ein Regisseur mit seiner Kamera, mit dem Set, den Requisiten und vor allem den Protagonisten seiner Bilder. So ist nachzuvollziehen, dass auch andere Personen den Auslöser der Kamera betätigen, wenn er selbst zum Modell seiner Inszenierungen wird. Damit integriert er in seine Bildidee einen weiteren Blick, den des Betrachters, und erlaubt eine direkte Teilhabe am ‚Spiel‘ des Künstlers.
Die Ausstellung wird im Anschluss in veränderter Form in der Galerie Rudolfinum, Prag, und im Martin-Gropius-Bau, Berlin, gezeigt.

 

Weitere Presseinformationen der Bundeskunsthalle:

http://www.bundeskunsthalle.de/fileadmin/user_upload/01Ausstellungen/juergen-teller/pr_pm_teller_dt.pdf

 

Auf youtube finden sich eine Reihe von Beiträgen zum Werk von Juergen Teller. Empfehlendswert ist das Interview, das Chris Dercon – hier noch in seiner Funktion als Direktor der Tate Gallery of Modern Art – mit Teller in dessen Studio in London Anfang 2016 führt:

Stichworte zu diesem Interview:

  • Tellers Fotografie ist dokumentarisch, anti-perfekt, durch einen mitunter fast brutalen Stil gekennzeichnet
  • Dercon bezeichnet Tellers Arbeit als physische Fotografie
  • das Fotografieren von Berühmtheiten wird durch eine rauhe Verfasstheit gebrochen – von Dercon als „Kunst“definiert
  • viele berühmte Menschen nackt fotografiert (z. B. Lily Cole, Vivienne Westwood und natürlich Charlotte Rampling)
  • Teller ist interessiert am Tun seiner Modelle als Ausdruck ihrer Persönlichkeit
  • Nähe zwischen Teller und den Fotografierten durch das, was sie machen, wie sie es machen, warum sie es machen (z.B. Kurt Cobain, Patti Smith, Vivienne Westwood)
  • an Tellers Pinwand im Studio sind Fotos von Berühmtheiten neben Familienangehörigen angeordet, alles gemischt
  • eigentlich fotografiert Teller alles, was ihn interessiert
  • Victoria Beckham z.B. fast an der Grenze zur Lächerlichkeit – sie sah Möglichkeit ihr Image positiv zu verändern (Humor)
  • Teller will auch Absurdität des Lebens darstellen, Absurdität auch der Modeindustrie = Spannungszustand
  • Modeindustrie bietet Möglichkeit, eine Fantasiewelt aufzubauen (dort Absurditätäen darstellbar!)
  • doch in dieser Fantasiewelt sieht dann – durch den Fotostil Tellers – alles real, harsch aus (Spannung)
  • in den 90ern wird Tellers Werk Teil einer neuen Ästhetik
  • Anti-Mode (besonders mit Kate Moss)
  • sie passt nicht in das Bild des Super-Models
  • schmutziger Realismus – ein Stück weit sogar unfreundlich
  • Teller sieht aber auch Romantik und Schönheit in seine Bildern
  • „Go-Sees: Girls Knocking on My Door“ (Buch von 1999) = Kritik an der Modebranche: Hunderte von extrem jungen und ungewöhnlich aussehenden Models Models waren zu fotografieren – er machte ein Konzept daraus: fotografierte sie an seiner Haustür
  • 2004 dann Fotoshooting mit Charlotte Rampling in einem Pariser Hotel für Marc Jacobs (Louis XV, Paris, 2004)
  • absolute Ausnahme im Werk Tellers
  • „Sie (Charlotte Rampling) kann furchterregend sein…“ (Juergen Teller)
  • zeigt ihr sein 1996 im Taschen Verlag erschienens Buch, woraufhin sie ihm nahezu alle Freiheiten gewährt
  • Teller erzeugt bei den Shootings Intimität und glaubwürdige Nähe
  • Teller gibt den Fotografierten Vertauen – keinerlei Voyeurismus
  • seine Selbstporträts zeigen allen, wie weit er zu gehen bereit ist – dann muss jede Model entscheiden, ob es folgen mag
  • wer allerdings mitmacht, weiß wohin die Reise geht
  • Nacktheit ist bei Teller ohne Eleganz
  • Nacktheit für Teller seit seiner Kindheit normal und natürlich (hatten Sauna und kleinen Pool, wohnten am Waldand)
  • kein Dresscode
  • Haut zeigen wie sie ist; immense Unterschiede von Mensch zu Mensch
  • mitunter groteske Wirkung der Bilder/Inszenierungen
  • Kim Kardashian-Set (Kayne): Frkr. für System-Magazin
  • Schloss zu „schön“ (cheesy) – obskure Wirkung am Kieshaufen
  • Teller kann überzeugen, weil Modelle ihm vertrauen, weil auch er getrieben ist – er macht mit
  • Walking-Bilder kommen dazu
  • 2015 dann „The Clinic“- dazu Teller:

                   „Ich war des Rauchens und Trinkens müde geworden. Diese Klinik ist das Beste, was ich für meinen Körper und meinen Geist getan habe.  Zu meinem 50. Geburtstag hat mir mein Cousin Helmut das tiefgründigste, schönste und bemerkenswerteste Geschenk gemacht. Er hat Bücher aus den eingelagerten und vergessenen Diapositiven meines Vaters gemacht.Als ich diese Bücher anschaute, musste ich weinen. Mein Vater nahm sich das Leben und doch sieht man auf diesen Bildern, dass es nicht alles nur dunkle Tage waren, und was für ein guter Fotograf er war. Als ich in Österreich in dieser Klinik war, erinnerte ich mich plötzlich an all die Ferien die wir in Österreich verbrachten und somit auch an die Bücher, die mir mein Cousin gemacht hatte.“

  • Rückblick auf Familiengeschichte
  • Geburtstag in Bubenreuth mit gesamter Familie
  • Fotos seines Vaters
  • Teller sieht aus wie sein Sohn
  • es geht um Geschichte und Erinnerung
  •  berührendes Foto ist nackter Teller mit Zigarette und Bierflasche (Fröhlich-Bier) am Grab seines Vaters

 

links hierzu:

http://www.cfa-berlin.de/exhibitions/the_clinic/press/

JuergenTeller_TheClinic_Catalogue

 

weitere lohnende links:

http://www.deutschlandfunk.de/fotograf-juergen-teller-man-muss-hart-arbeiten-bis-man-zur.807.de.html?dram:article_id=356802

http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/43281/Saufen-ist-Arbeit-Saufen-ist-ein-Beruf

http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/kultur-und-medien/bonn/Mit-Models-kuscheln-article3276817.html

http://www.elle.de/fashion-fotografen-fotografen-portraet-juergen-teller-der-zeichner-des-imperfekten-93906.html

http://www.damianzimmermann.de/blog/?cat=6

Juergen Teller – Enjoy Your Life!