Kunstbetrachtung im öffentlichen Raum, Juni 2021

 

Open Air-Veranstaltung

 

Bevor wir unsere vor Ort gemachten Beoachtungen kurz zusammenfassen möchten, zunächst noch einmal unseren herzlichen Dank an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung für ihre Bereitschaft zum genauen Hinschauen, zum „entschleunigten Blick“ und – daraus resultierend – zur kritischen Betrachtung.

Uns allen wurde einmal mehr bewußt , dass der PERSÖNLICHE Austausch unersetzlich ist. Nur im direkten, ungefilterten Gespräch, in der Anschauung vor Ort und im Erleben der klein- und großräumlichen Zusammenhänge werden die unterschiedlichen künstlerischen Positionen in ihrer zum Teil sperrigen Wirkung fassbar.

Doch jetzt zu den Werken und ihrer Wirkung. Die Eingangsfrage lautete: „Kunst im öffentlichen Raum: Immer da, immer nah, immer übersehen?“

Anhand ausgewählter Beispiele haben wir im Bundesviertel nach Antworten gesucht. Der Rat der Stadt Bonn hat 1989 ein Konzept über die künstlerische Ausgestaltung des öffentlichen Raumes beschlossen und dabei öffentliche Bereiche festgelegt, die langfristig für eine künstlerische Ausgestaltung in Frage kommen. Einen dieser Bereiche, das Bundesviertel, haben wir uns auf einem gemeinsamen Rundgang genauer angesehen.

Wir haben dabei eine Auswahl ganz unterschiedlichicher Arbeiten getroffen, die in einem überschaubaren Radius von uns „entschleunigt“ zu Fuß erreicht werden konnten. Vor Ort haben wir uns diese Skulpturen, Plastiken und Installationen genauer angesehen und dabei auch Bezüge zum städtisch-architektonischen Umraum, der Natur und auch der besonderen Geschichte des Ortes herstellen können.

 

Unser Rundgang, wie auf dem Lageplan (siehe unten) zu lokalisieren:

1     Vom Treffpunkt an der B9 / Ecke Heuss-Allee sind wir ein paar Meter Richtung Rhein bis zur Heussallee 18, der ehemaligen Landesvertretung Rheinland-Pfalz gegangen, heute genutzt von der Uni Bonn. Dort haben wir uns eine Arbeit von Thomas Duttenhoefer (* 1950 Speyer) mit dem Titel Figur (1988-90) angesehen. Dieses mehrschichtige Werk ist durch eine konzentrierte Umrisslinie und eine außerordetlich differenzierte Oberflächengestaltung gekennzeichnet.

https://skulpturen.kulturraum.nrw/bonn/thomas-duttenhoefer/figur.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Duttenhoefer

https://www.youtube.com/results?search_query=Thomas+Duttenhoefer


   Weniger Meter entfernt, am ehemaligen „Alten Abgeordnetenhochhaus“ und dem heutigen Sitz des Sekretariats der Klimarahmenkonvention der UN, haben wir uns auf dann eine Arbeit von Michael Sailstorfer (*1979 Velden (Vils) / Niederbayern) konzentriert, die den nachvollziehbaren Titel Außenthermometer (2011/12) trägt und logohaft an der Stirnseite des Gebäudes installiert ist.

http://welt-der-form.net/Bonn/Sailstorfer-2012-Aussenthermometer-Henkel.html

https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/aussenthermometer

https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Sailstorfer

Sehr interessant war die Beobachtung eines Teilnehmers, der diese Arbeit von seinem Arbeitsplatz aus sehen kann. Nach der Installation zeigte das Thermometer über einen längeren Zeitraum konstant eine relativ hohe Temperatur an, was als Hinweis auf den stattfindenen Klimawandel interpretiert wurde – bis das Thermometer dann in Funktion gesetzt wurde und die reale Temperatur anzeigte. Die mahnende Botschaft hatte sich augenblicklich verflüchtigt…


   Weiter ging es zum Platz der Vereinten Nationen, wo eine Arbeit mit dem Titel Meistdeutigkeit für eine Reihe von Assoziationen sorgte. Dieses Werk von Olaf Metzel (*1952 Berlin) aus dem Jahr 1993 (Übergabe und Aufstellung 1996) erinnerte sowohl an ein Kettenkarussel, wie auch an einen überdimensionierten Basketballkorb, an eine strukturierte Ansammlung von Schrottteilen wie an Tatlins „Monument für die Dritte Internationale.“

Aufgestellt vor dem von Günter Behnisch entworfenen Bundeshaus möchten wir folgenden Gedanken zitieren: „Die von der Skulptur vollzogene Auflösung von semantischer Bedeutung wird zum Sinnbild von aufgehobener Ordnung und aufgelöster Gewissheit.“ Angesichts der Selbstentmachtung des mittlerweile in Berlin tagenden Bundestages in Corona-Zeiten wird diese Arbeit so fast zu einem Mahnmal…

https://skulpturen.kulturraum.nrw/bonn/olaf-metzel/meistdeutigkeit.html

http://welt-der-form.net/Bonn/Metzel-1993-Meistdeutigkeit-2.html

https://www.wernersobek.de/projekte/material-de/specials-de/skulptur-meistdeutigkeit/

https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/meistdeutigkeit

https://de.wikipedia.org/wiki/Olaf_Metzel


4     Wenige Meter weiter, vor der ehemaligen „Pädagogischen Akademie“, einem 1930-33 im Bauhaus-Stil errichteten Gebäude, steht die mächtige, aus Cortenstahl gefügte Plastik Durchbruch von Hermann Glöckner (Cotta 1889 – 1987 Berlin). Der Entwurf ist aus dem Jahr 1935 (!), wurde von Glöckner noch zu Lebzeiten als Modell gearbeitet und nach seinem Tod 1992 an dieser Stelle aufgestellt.

Der symbolische Gehalt dieser, in einem Zustand spannungsvoller Balance gehaltenen Arbeit, darf sicher auch als Verweis auf die Deutsche Wiedervereinigung und die damit verbundenen Bemühungen um Ausgleich, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung gelesen werden.

http://welt-der-form.net/Bonn/Gloeckner-1992-Durchbruch-2.html

https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/durchbruch

https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Gl%C3%B6cknerhttps://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Gl%C3%B6ckner

https://www.museum-ritter.de/de/inhalt/sammlung/werke-der-sammlung-auswahl/kuenstler-g-l/hermann-gloeckner.html


   Wir kommen zu Henry Moore (Castleford, Yorkshire 1898 – 1986 Much Haddam, Hertforshire) und seinen Large Two Forms, die im August 1979 vor dem Bundeskanzleramt aufgestellt wurden. Zuvor empfand Helmut Schmidt  den Vorplatz des 1976 fertiggestellten Baus als „Mischung aus Westwall und lieblosem Heldenfriedhof“ und das Gebäude selbst – nach einem Entwurf der Planungsgruppe Sielsdorf – als eine „etwas zu groß geratene Sparkassenzentrale.“ Dieser Einordnung kann man, muss man aber nicht folgen. Dann vielleicht schon eher dem Architekturkritiker und -theoretiker Heinrich Klotz, der – wenngleich nicht eben begeistert – von „zurückhaltend“ und „von bewußter Absage an die große Geste“ sprach. Immerhin eine zurückgenommene Haltung, von der sich die bundesrepublikanische Regierungsarchitektur in Berlin bald schon mit großer Geste verabschiedete, ein neues Selbstbewußtsein des wiedervereinten Deutschland verkündend.

Moore schuf zwei voluminöse biomorphe Formen mit ovalen Öffnungen, die in ihrer natürlich wirkenden Plastizität einen wirkungsvollen Kontrast bilden zur zurückhaltenden Architektur des Kanzleramts. Die „Large Zwo Forms“ waren immer wieder auch ein prägendes Hintergrundsbild des bundesrepublikanischen Politalltags.

Aber lassen wir abschließend noch einmal Helmut Schmidt zu Wort kommen:

„Für mich ist dieses Kunstwerk auf dem neuen Grün des Vorplatzes ein Zeichen für Leben, ein Symbol für menschliche Verbundenheit, auch ein Ausdruck für Menschlichkeit. Und diese Wirkung teilt sich – so meine ich – dem ganzen Platz mit.“ (Bei der  Übergabe des Kunstwerkes am 19. September 1979)

http://welt-der-form.net/Bonn/Moore-1969-Large_Two_Forms-3.html

https://catalogue.henry-moore.org/objects/18197/large-two-forms

https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/large-two-forms

https://de.wikipedia.org/wiki/Large_Two_Forms


   Vom Kanzleramt sind es nur ein paar Minuten hinunter zum Rhein, wo sich rechter Hand dann nach ein paar Metern schon der mächtige L’Allumé, der Erleuchtete, von Mark di Suvero (*1933 Shanghai) ins Blickfeld schiebt. Diese mächtige, aus stählernen Trägern und bogenförmigen Segmenten zusammenmontierte Skulptur erinnert nicht nur an Seezeichen, Kranbauten oder einen überdimensionierten Sextanten (gäbe somit Orientierung!), sondern vermittelt duch seine spannungsvolle Komposition auch eine enorme positive Energie.

1989 konstruiert und 1992 aufgestellt, wurde die Arbeit im Sommer 2010 bereits umfänglich restauriert und dabei der zu einem menningfarbenen Orangeton verblasste kräftige Rotton wieder aufgetragen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Mark_di_Suvero

http://welt-der-form.net/Bonn/Suvero-1990-L_Allume-1b.html

https://nrw-skulptur.net/skulptur/lallume-der-erleuchtete/

https://www.youtube.com/watch?v=gG3ijUI6-F0

https://www.youtube.com/results?search_query=mark+di+suvero

https://www.bbr.bund.de/BBR/DE/Bauprojekte/Bonn/UN/UNCampus/LAllume/l%27allum%C3%A9.html

http://www.skulpturenparkkoeln.de/de/ausstellungkoelnskulptur/koelnskulptur-10/72/115.html


   Auf dem Rückweg sind wir am Rheinufer noch an Integration 76 (1976), einer drehbaren Edelstahlskulptur von Hans Dieter Bohnet (Trossingen 1926 – 2006 Stuttgart) vorbeigekommen, die zunächst vor dem Kanzleramt stand, bevor sie auf Geheiß von Helmut Schmidt durch Moores „Large Two Forms“ ersetzt wurde. Seit 1986 befindet sie sich an diesem Standort vor dem von Egon Eiermann (Neuendorf 1904 – 1970 Baden-Baden) entworfenen „Langen Eugen“ (1966-69), dem damals „neuen Abgeodnetenhochhaus.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Dieter_Bohnet

http://welt-der-form.net/Bonn/Bohnet-1976-Integration-1.html

https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/integration-76


Weiterführende Informationen:

http://bonndoc.ulb.uni-bonn.de/xmlui/handle/20.500.11811/5238

https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2014/DL_ON132014.pdf;jsessionid=CD0CBB2A7424F80DD354175C9F94F1A7.live21301?__blob=publicationFile&v=1

http://welt-der-form.net/Bonn/

https://skulpturen.kulturraum.nrw/bonn/galerie.html


Es war uns eine Freude, nach so langer corona-bedingter Zwangspause endlich wieder gemeinsam Kunst zu betrachten und sich über das Beobachtete auszutauschen – und das alles im Rahmen eines entspannten Rundgangs an der frischen Luft.

Es grüßen herzlich

Olaf Mextorf + Judith Graefe

 

Lageplan der betrachteten Werke im Bundesviertel: