Einspruch, Herr Schneider!

 

„Ausstellen ist immer ein Abtöten der Arbeiten“, sagte Gregor Schneider einmal in einem Interview. Eigentlich eine erschütternde Aussage, oder? Doch was sich von Künstlerseite aus wie ein Endpunkt darstellen mag, sieht aus unserer Sicht, die der Ausstellungsbesucher, vielleicht ganz anders aus. Und mich beschleicht der Verdacht, dass Künstler häufig gar nicht mitbekommen, wie unabhängig und expansiv ihr Werk wahrgenommen wird.

Wenn ich die Fachpresse hier absichtsvoll außen vor lasse, dann, weil professionelle Kunstbetrachtung oft eigenen Regeln gehorcht. Wenngleich Seh- und Sichtweisen wie auch Bewertungsmaßstäbe in den Medien durchaus hilfreich vor- und mitgegeben werden, so zeigt sich doch erst in der Ausstellung, gewissermaßen im täglichen Ernstfall, wie Exponate, Konzeption und Ausstellungssituation wirksam werden – da sind Künstler, Journalisten und Kuratoren oft schon wieder ganz woanders.

Als Kunstvermittler vor Ort in der Ausstellung Wand vor Wand habe ich das Privileg eines wiederholten Erlebens der Ausstellungssituation, vor allem aber die Möglichkeit des lebhaften, konzentrierten und oft auch kontroversen Erfahrungsaustauschs mit den Besuchern – oder wäre das Wort „Akteure“ vielleicht passender? Denn die konkrete Raumerfahrung in der Ausstellung ist der Schlüssel zur – oft durch Irritationen ausgelösten –  Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben und dem einsetzenden Nachdenken.

So standen wir kürzlich während eines Rundgangs in der sogenannten „Doppelgarage“, einer Arbeit aus dem Jahr 2002. Fahles Licht brach sich unruhig im feucht schimmernden Zementboden, Zugangstüren wie Garagentor waren verschlossen, muffiger Geruch umfing die kleine Gruppe. Erste Assoziation einer Teilnehmerin: „Selbstmord.“

Und dann hörten wir die Geschichte der Garage, in der Gregor Schneider vom einsamen Trinker in der Nachbarschaft erzählt, der hier einen Teil seines Lebens verbrachte. Und wir kamen zu Themen wie Anteilnahme, Bestürzung und Mitleid, aber auch Be-, Ver- und Vorverurteilung von Lebensmodellen. „Das führt jetzt aber zu weit“, wird manche sagen. Und die Frage steht mal wieder im Raum: „Was hat uns der Künstler eigentlich sagen wollen?

Aber vielleicht weiß das Werk mitunter mehr als der Künstler und wird durch unsere Auseinandersetzung in seiner Grundaussage erweitert, löst sich sogar ein Stück weit von ihm? Und kann Kunst nicht als Austausch begriffen werden, der das Werk als Anker hat, vom Ankerplatz aus aber auch einen Bewegungsradius? Und die Ankerkette verhindert, dass die Aussage beliebig wird.

Wenn ich meine Erfahrungen mit und in der Gregor Schneider-Ausstellung Wand vor Wand vorläufig zusammenfassen sollte, dann würde ich, abweichend von der anfänglich formulierten Sicht des Künstlers, festhalten: „Ausstellen ist immer ein Freilassen der Arbeiten.“

Deshalb: Einspruch, Herr Schneider!

Olaf Mextorf
der-entschleunigte-blick.de

GREGOR SCHNEIDER. WAND VOR WAND
bis 19. Februar 2017

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